Ikonische Ironie

 parodie-quiz

Von Daniel Hornuff

Die Macht der Bilder ist ein oft gebrauchter Topos. Meist wird er von pessimistisch gestimmten Gemütern herangezogen, wenn signifikante – leicht wiedererkennbare – Bilder weite Teile der medialen Berichterstattung dominieren. Viele fühlen sich dann angehalten, in der offensichtlichen Präsenzstärke Hinweise auf eine Kraft zu erkennen, die den Bildern selbst entsteige und sie zum Erfolg pusche. Häufig wird dann eine ethische Zurückhaltung der Publikationsorgane angemahnt, mitunter sogar eine Verweigerung des Zeigens gefordert, um den visuellen Triebenergien nicht auch noch leicht zugängliche – multiplizierende – Präsentationsflächen zu offerieren. Denn was sich harmlos und verhalten kleide, offenbare sich allzu rasch als gefährliche Waffe. Die zur Schau getragene Schwäche verhülle eine inhärente Detonationskraft.

Wer die Nachrichtenbeiträge und rasch verfassten Kommentare zu dem kürzlich veröffentlichten, 25-minütigen Video des gebürtigen Marokkaners Bekkay Harrach verfolgt, kann diese in sich widersprüchlichen Einschätzungen wiederholt antreffen. Etwa beschrieb Florian Flade in der WELT „al-Quaidas deutsches Gesicht“ mit den Attributen braver Konfirmationsikonographie – „schulterlanges, gegeltes Haar, frisch rasiert, in Anzug mit Krawatte“ – und interpretierte auf dieser Grundlage einen „kühlen und berechnend agierenden Strategen des Terrors“, der eine „Drohkulisse“ mit „eiskalter Mimik und Gestik“ aufzubauen und „das Bild des westlichen, perfekt angepassten Gotteskriegers“ zu stärken verstehe.

Vor diesem Hintergrund muss überraschen, mit welch bildkompetenter Gelassenheit die Kultur der Privatästhetik reagiert. In Blogs und Internetforen, in Twitterbeiträgen und auf Videoplattformen fanden sich unmittelbar nach Bekanntwerden des Videos zahlreiche Parodien, humoristische Anleihen und satirische Assoziationen. Offenbar fühlen sie sich nicht herausgefordert, die Oberfläche der Sichtbarkeit aufzureißen, um das Nicht-Sichtbare mit eigenen Befürchtungen auszugestalten. Sie tun hingegen das, was der Medienphilosoph Vilém Flusser 1989 ein „Scanning der technischen Bilder“ nannte: Ein Absuchen – „Entziffern“ – ihrer „Flächenhaftigkeit“ zwischen „jener Intention, die sich im Bild manifestiert, und jener des Betrachters“. Jede ikonische Ironie ist sich – auch implizit – dieser erkenntnistheoretischen Doppelnatur bewusst, da sie andernfalls keine Distanz zum Bild aufbauen könnte und folglich naiv über ein Unsichtbares spekulieren müsste.   

Tatsächlich spitzte auch Flusser seine bildtheoretischen Ausführungen kulturkritisch zu: Bilder schöben sich zum Zwecke der Welterklärung zwischen den Menschen und die Welt und entzögen ihm folglich die Sicht auf die Realität: „Statt die Welt vorzustellen, verstellen sie sie, bis der Mensch schließlich in Funktion der von ihm geschaffenen Bilder zu leben beginnt. Er hört auf, die Bilder zu entziffern und projiziert sie statt dessen unentziffert in die Welt ´dort draußen´, womit diese selbst ihm bildartig – zu einem Kontext von Szenen, von Sachverhalten – wird“. Die Folge sei eine unheilvolle „Idolatrie“, eine Bilderverehrung.

Auch wenn Flusser damit ein gesamtkulturelles, apokalyptisch zugespitztes Untergangsszenario im Geiste der Simulationstheorie zeichnete, gewinnen seine Ausführungen im Zuge der aktuellen Terrorismusdebatte eine neue Relevanz. Schließlich bleiben Wendungen, die vom „Terror der Bilder“ orakeln, keine Seltenheit – und verbreiten ein mentales Klima, als dringe die Gewalt, jener „Kontext von Szenarien“ alleine schon durch die Medienkanäle in die Mitte der Gesellschaft ein. Oftmals wird mit solchen Hinweisen für die eigene intellektuelle Schärfe geworben, mit der Aufklärung in vernebelten Zeiten zu betreiben sei. Großmutig wird dann übersehen, dass die Gelassenheitskultur der Privatästheten vielfach bereits einen Schritt weiter ist – und praktisch anwendbare Bildkompetenzen entwickelt hat, die unter Anzug und Krawatte beim besten Willen kein Sprengsatzticken zu entziffern vermögen.

Bildquelle 1: Screenshot eines YouTube-Videos, siehe hier.

Weitere Informationen zu Vilém Flussers Theorie siehe hier.

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